Der Autor Chaim Noll las auf Einladung der DIG Heilbronn am 15.10.2015 zum zweiten Mal in der Weinvilla in Heilbronn. Glücklicherweise ließ sich Noll dazu überreden, eine Autobiografie zu schreiben. Der geheimnisvolle Titel lautet ,Der Schmuggel über die Zeitgrenze’. Chaim Noll hat eine besondere Geschichte. Er wurde 1954 in der DDR als Sohn des Schriftstellers Dieter Noll geboren. Dieser hatte mit dem Roman .Die Abenteuer des Werner Holt’ (1960-63) einen Bestseller geschrieben und galt nicht nur in der DDR als Berühmtheit.

Durch den Status des Vaters profitierten auch die Kinder. Sie gingen auf ,Spezialschulen’ und lernten auf Grund ihrer Zugehörigkeit zur Nomenklatura schnell viele Berühmtheiten der DDR kennen. Dieter Noll hatte eine jüdische Mutter, worüber aber in der Familie kaum gesprochen wurde. Die sich als ,antifaschistisch’ verstehende DDR konnte mit den lebenden Juden nichts anfangen und stand mit dem Staat Israel auf Kriegsfuß. Und es war auch besser, eine jüdische Identität zu verbergen, denn in den sozialistischen Ländern setzten mehrere antisemitische Wellen ein. Chaim Noll erinnerte an den Slanskyprozess 1952 oder an die Ausbürgerung der letzten polnischen Juden im März 1968 unter Gomulka.

Anschließend zeigte U. Sahm auf, dass Israel ein moderner Rechtsstaat nach dem Vorbild westlicher Demokratien ist. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Frage: In welcher Tradition sich sieht der Staat Israel? Die Antwort überrascht: Vorbildcharakter für viele Gesetze Israels hat das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB), das am 1. Januar 1900 im Deutschen Kaiserreich eingeführt worden war.

Der Autor selbst fühlte sich in der DDR als Fremdkörper. Mit dem verordneten Kollektivismus konnte er nichts anfangen. Dennoch hatte er durch seine elitäre Ausgangslage einen besonderen Einblick in das Machtgefüge dieses Staates. 1984 durfte Chaim Noll schließlich nach West-Berlin ausreisen, nachdem er sich durch eine Hungerkur (,neurotische Magenschwäche’) dem Kriegsdienst entzogen hatte.

Im Zusammenhang mit der Darstellung  des Rechtsstaates Israel wurde vom Publikum die Frage gestellt, wie denn ein palästinensischer Staat aussehen könne, also die sogenannte Zweistaatenlösung? Bei dieser Frage lief der Referent zur Hochform auf. Zunächst stellte er fest, dass in den Osloer Verträgen von 1993 und 1995 keine Rede von einem palästinensischen Staat ist. Außerdem habe Jitzchak Rabin seinerzeit deutlich gesagt, es werde niemals einen palästinensischen Staat geben. Vor allem müsse man sich jedoch vor Augen halten, wann wir überhaupt von ,,Palästinensern’’ sprechen können. Den Begriff nämlich gebe es, sagte Ulrich Sahm, erst seit 1968. Er wurde von Arafat in die PLO-Charta aufgenommen. Darüber hinaus taucht das Wort ,,Palästinenser’’ bei der UNO zum ersten Mal 1974 auf. In der Geschichte wird der Begriff Palästina zuerst unter Kaiser Hadrian als Syria-Palaestina verwendet. Vorher hieß das Land auch unter den Römern ,Judäa’.

Bei der anschließenden Diskussion wies Chaim Noll darauf hin, dass die DDR die jüdischen Gemeinden aussterben lassen wollte. Es gab keine Rabbiner, keinen Nachwuchs. Wie soll da jüdisches Leben möglich sein? Von den 7000 in der DDR lebenden Juden waren 1990 nur noch 440 übrig.